Weihnachtsgedichte:

“Weihnacht” von Hugo von Hofmannsthal
“Weihnachtsabend” von Hermann Hesse
“Verkündigung. die Worte des Engels” von Rainer Maria Rilke

 

 

Weihnacht

Weihnachtsgeläute
Im nächtigen Wind…
Wer weiß wo heute
Die Glocken sind,
Die Töne von damals sind?

Die lebenden Töne
Verflogener Jahr`
Mit kindischer Schöne
Und duftendem Haar,
Mit tannenduftigem Haar,

Mit Lippen und Locken
Von Träumen schwer?...
Und wo kommen die Glocken
Von heute her,
Die wandernden heute her?

Die kommenden Tage,
Die wehn da vorbei
Wer hört´s ob Klage,
Ob lachender Mai,
Ob blühender, glühender Mai?...

Hugo von Hofmannsthal

 

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Weihnachtsabend

Am dunklen Fenster stand ich lang
Und schaute auf die weiße Stadt
Und horchte auf den Glockenklang,
Bis nun auch er versungen hat.

Nun blickt dies stille reine Nacht
Traumhaft im kühlen Winterschein,
Vom bleichen Silbermond bewacht,
In meine Einsamkeit hinein.

Weihnacht!- Ein tiefes Heimweh schreit
Aus meiner Brust und denkt mit Gram
An jene ferne, stille Zeit,
Da auch für mich die Weihnacht kam.

Seither voller Leidenschaft
Lief ich auf Erden kreuz und quer.
In ruheloser Wanderschaft
Nach Weisheit, Gold und Glück umher.

Nun rast ich müde und besieget
An meines letzten Weges Saum.
Und in der blauen Ferne liegt
Heimat und Jugend wie ein Traum.

Hermann Hesse

 

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Verkündigung.
Die Worte des Engels

Du bist nicht näher an Gott als wir
Wir sind ihm alle weit.
Aber wunderbar sind dir
Die Hände benedeit.
So reifen wie bei keiner Frau,
so schimmernd aus dem Saum;
ich bin der Tag, ich bin der Tau,
du aber bist der Baum

Ich bin jetzt matt der Weg war weit,
vergieb mir, ich vergaß,
was Er der groß in Goldgeschmeid
wie in der Sonne saß,
dir kündigen ließ, du Sinnende,
(verwirrt hat mich der Raum)
Sieh: ich bin das Beginnende,
du aber bist der Baum.

Ich spannte meine Schwingen aus
Und wurde seltsam weit;
Jetzt überfließt dein kleines haus
Von meinem großen Kleid.
Und dennoch bist du so allein
Wie nie und schaust mich kaum;
Das macht ich bin ein Hauch im Hain,
du aber bist der Baum.

Die Engel alle bangen so,
lassen einander los;
noch nie war das Verlangen so,
so ungewiss und groß.
Vielleicht, dass etwas bald geschieht,
das du im Traum begreifst.
Gegrüßt sei, meine Seele sieht;
Du bist bereit und reifst.
Du bist ein großes hohes Tor,
und aufgehen wirst du bald.
Du, meines Liedes liebstes Ohr,
jetzt fühle ich mein Wort verlor
sich in dir wie im Wald.

So kam ich und vollendete
Der tausendeinen Traum.
Gott sah mich, an er blendete…
Du aber bist der Baum.

Rainer Maria Rilke

 

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